04 — Centro Parrocchiale, Poschiavo

  • Fassade zum Platz, Ansicht von Norden (© Ralph Feiner, Malans).

  • Das Atrium im Zentrum der Anlage (© Ralph Feiner, Malans).

Bauaufgabe Pfarreizentrum Adresse Via da Mez 59, 7742 Poschiavo Bauherrschaft Katholische Kirchgemeinde Poschiavo Planer Prospero Gianoli, Livio Vacchini Bauzeit 1983–1985

Statt ihr neues Begegnungszentrum auf der grünen Wiese fernab des Dorfzentrums zu errichten, entschloss sich die katholische Kirchgemeinde von Poschiavo Anfang der 1980er-Jahre, das ambitiöse Bauvorhaben in einem bescheidenen Wohnhaus inmitten des Borgo zu realisieren. So galt es, an städtebaulich sensibler Lage direkt neben dem barocken Oratorio Sant’Anna an einem intimen Platz südseits der spätgotischen Stiftskirche eine neuartige Nutzung zu implementieren, ohne das historische Gefüge zu (zer-)stören. Zur Lösung dieser heiklen Aufgabe setzte die Bauherrschaft auf einen Wettbewerb unter Beizug hochkarätiger Fachkräfte. Die von Luigi Snozzi (* 1932) präsidierte Jury kürte das Projekt von Livio Vacchini (1933–2007), wie Snozzi selbst ein prominenter Vertreter der Tessiner «Tendenza» mit besonderem Fokus auf eine ortsbezogene Architektur, zum Sieger. Die Ausführung vertraute Vacchini einem Einheimischen, dem zweitrangierten Prospero Gianoli (*1945), an.

Zur Wahrung der Kontinuität blieb der Wohnhaus-Charakter des Altbaus gewahrt. Die Aussenmauern des ansonsten vollständig ausgekernten Gebäudes sind mit einem neuen «Kleid» umhüllt, das die Fassadenprinzipien der Puschlaver Palazzi in verhalten postmoderner Art reflektiert: die Reverenz äussert sich im klassisch-zentralsymmetrischen Aufbau der für die Platzwirkung bedeutsamen Hauptfront und deren dezenten Ornamentierung, die sich auf die häufig reiche Dekoration der älteren Gebäude im Ortskern bezieht. Die Freitreppe ist ein subtiler Verweis auf die öffentliche Funktion, deren Abbildung sich ansonsten ganz auf das Innere des Hauses konzentriert: Im Zentrum steht, als eigentliches Herz der Anlage, ein grosszügiges Foyer in Form eines zweigeschossigen Atriums, das alle übrigen Räume um sich gruppiert. Der rationalistischen Strenge des geschlossenen Innenhofs setzt das organisch geformte Treppenhaus, das auch den grossen Saal im Untergeschoss erschliesst, eine verspielte Note entgegen.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Peter Disch: Architektur in der Deutschen Schweiz 1980–1990, Lugano 1991, S. 267; Ludmila Seifert-Uherkovich: Architekturrundgang Poschiavo Borgo (Architekturrundgänge in Graubünden), hrsg. Vom Bündner Heimatschutz, Chur 2003, Nr. 13.