Eine Kampagne – warum, wozu?

Wertschätzung gefragt Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg setzte auch in Graubünden ein nie dagewesener Bauboom ein, der im Wesentlichen bis heute anhält. In wenigen Jahren haben sich die Bündner Dörfer und Landschaften entscheidend verändert. Die zerstörerischen Auswirkungen dieser überbordenden Bautätigkeit lassen verkennen, dass auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Bauwerke von hohem baukünstlerischem Anspruch entstanden sind, die unsere Identität genauso prägen wie die Denkmäler früherer Epochen. Dieses Erbe ist zunehmend bedroht, sei’s durch unsensible Erneuerung oer gar Abbruch. Es fehlt an Wertschätzung und Respekt. Die Zeit ist reif, um das Bewusstsein für die baukulturellen Errungenschaften aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu schärfen und deren gesellschaftlichen Stellenwert zu diskutieren. Denn nur so lässt sich verhindern, dass die identitätsstiftenden Werke zweier Generationen sukzessive ausradiert werden.
Sensibilisierung tut Not Zur grösseren Anerkennung ist eine bessere Kenntnis notwendig. Aus diesem Grund hat der Bündner Heimatschutz im Herbst 2019 die Kampagne «52 beste Bauten. Baukultur Graubünden 1950–2000» lanciert. Ziel war (und ist) es, den Baudenkmälern aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr Gewicht zu verleihen und in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für deren Schutz und den respektvollen Umgang zu stärken. Wie in den Bereichen Literatur, Musik, Film und Kunst sollen auch in den Bereichen Architektur und Ingenieurbau die herausragenden baukulturellen Leistungen jener Zeit als wichtiger kultureller Beitrag erkannt werden.
Kampagne im Kalenderformat Beginnend am 2. November 2019 stellten wir für die Dauer eines Jahres auf der eigens hierfür kreierten Website www.52bestebauten.ch wöchentlich ein herausragendes Bauwerk aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Wort und Bild vor. Die Gesamtheit der ausgewählten Objekte stellt ausschnitthaft eine Bilanz der Bündner Baukultur der Jahre zwischen 1950 und 2000 dar. Die Bauwerke stehen also symbolisch für das baukulturelle Erbe jener Zeit, das sich selbstverständlich nicht in den 52 vorgestellten Objekten erschöpft. In diesem Sinne ist die Auswahl Teil eines möglichen Inventars, nicht aber das Inventar selbst. Ein umfassendes Verzeichnis aller erhaltenswerten Bauten der entsprechenden Periode zu erarbeiten und diese einem effektiven Schutz zuzuführen, obliegt der öffentlichen Hand.
Auswahlgremium Die Auswahl der 52 Bauwerke wurde einer dreiköpfigen Kommission von Architekturhistorikern übertragen, die als Experten auf dem Gebiet der jüngeren Baukultur über eine hohe fachliche Autorität verfügen und aufgrund ihrer neutralen Stellung im Architekturbetrieb die grösstmögliche Unbefangenheit garantieren: Dr. Leza Dosch, Chur; Dr. Carmelia Maissen, Ilanz/Glion; Lic. Phil. Michael Hanak, Zürich.
Kriterien der Auswahl Die ausgewählten Bauwerke werden als besonders wichtige Zeugen ihrer Zeit betrachtet. Vorrangig für ihre Wahl war die gestalterische Qualität. Berücksichtigt wurden ferner die architekturhistorische Relevanz und der Grad der vorhandenen Originalsubstanz. Auch war man darauf bedacht, ein breites Spektrum an typischen Bauaufgaben abzubilden und wichtige Akteure mit einzubeziehen. Angestrebt war zudem eine ausgewogene Verteilung nach Regionen und Epochen.
Rahmenprogramm Während der einjährigen Dauer der Kampagne fanden diverse Anlässe wie Referate, Podiumsveranstaltungen, Führungen und Ausflüge statt. Das Rahmenprogramm ging über die 52 vorgestellten Bauten hinaus und sollte das Bild der Bündner Baukultur zwischen 1950 und 2000 ausweiten.
Buch zum Abschluss Zum Abschluss der Kampagne erschien Mitte November die gleichnamige Publikation (bestellen). Das bei Edition Hochparterre in einer Auflage von 800 Exemplaren erschienene Buch vereint alle 52 Bautenporträts, chronologisch geordnet im Sinne einer architekturgeschichtlichen Galerie; es wird bereichert durch ergänzende Beiträge von Leza Dosch und Bernhard Furrer, welche die gestalterischen Tendenzen und Diskurse der Zeit skizzieren und die denkmalpflegerischen Herausforderungen benennen. In einer Einleitung beleuchtet Projektleiterin Ludmila Seifert die Hintergründe der Kampagne.