17 — Caplutta, Sogn Benedetg

  • Mittels bescheidenster Materialien realisiertes Gotteshaus zwischen ortstypischer Tradition und individueller Formfindung (© Ralph Feiner, Malans).

  • Der vom Baukörper abgesetzte Treppenaufgang zum seitlich platzierten Eingang gemahnt an einen Landesteg und verstärkt die Assoziation mit einem Schiff als altem christlichen Symbol (© Ralph Feiner, Malans).

  • In dem geschlossenen Raum ohne Aussenbezug wird der Besucher zur Besinnung eingeladen. Das von oben einfallende Licht wird durch die feinen Lamellen vor den Fenstern moduliert (© Ralph Feiner, Malans).

Bauaufgabe Sakralbau Adresse Via su Val 5, 7175 Sumvitg Bauherrschaft Fundaziun Caplutta Sogn Benedetg Planer Atelier Peter Zumthor Bauzeit 1988

Das kleine Gotteshaus in Sogn Benedetg begründete Peter Zumthors (*1943) Ruf als atmosphärischer Raumzauberer und markiert den Beginn seines kometenhaften Aufstiegs in die globale Spitzenliga der Architektur. Die Geschichte des ikonischen Bauwerks begann mit einem Unglück: 1984 wurde die mittelalterliche Kapelle des abgelegenen Weilers durch eine Lawine zerstört. Man entschied sich, den isoliert vor dem Dorfeingang stehenden Altbau als Ruine zu belassen und einen Neubau oberhalb der Siedlung zu errichten. Aus dem unter fünf Architekten ausgelobten Wettbewerb ging Peter Zumthor als einziger auswärtiger Teilnehmer siegreich hervor, weil sein Entwurf allein ein gleichzeitig singuläres und auf die spezifischen Gegebenheiten des Ortes abgestimmtes Bauwerk versprach.

An einem steil abfallenden Hang über den Häusern von Sogn Benedetg platziert, schmiegt sich das schlichte Gebäude wie selbstverständlich in die Topografie. Der schützende Schindelschirm betont die hölzerne Beschaffenheit des Baus. Die im Kontext der regionalen Sakralbautradition geradezu subversive Materialwahl ist eine Hommage an die bäuerliche Baukultur des Tals. Die traditionelle Hierarchie zwischen Heiligtum und Profanbau bleibt trotzdem gewahrt: durch die erhöhte Lage der Kapelle und ihre ungewöhnliche architektonische Gestalt. Die bis auf den hochliegenden Fensterkranz vollständig geschlossene Aussenhülle umfasst einen einzigen Raum, dessen weiche, fliessende Form sich aus einem blattartigen Grundriss ergibt. Mit der Spitze voran am vorbeiführenden Alpweg «angedockt» und die ausladende Rundung talauswärts gewandt, erscheint die Kapelle wie ein zum Ablegen bereites Schiff. Wer ins Innere tritt, den empfängt ein feierlicher Saal. 37 freistehende Holzstützen betonen die Wölbung der mit einem silbrigen Anstrich veredelten Wand. In Verbindung mit dem Stabwerk des Daches werden sie zu einem grossen Baldachin. Die Oberlichtfenster lassen keinen Blick in die Umgebung zu; vielmehr thematisieren sie den Lichteinfall, der den introvertierten Raum in eine erhabene, kontemplative Stimmung hüllt.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Peter Zumthor. Bauten und Projekte, 5 Bde., Zürich 2014, Bd. 1, S. 49–64; Fabrizio Brentini: Bauen für die Kirche. Katholischer Kirchenbau des 20. Jahrhunderts in der Schweiz, Luzern 1994, S. 257–261; Daniel Schönbächler: Caplutta Sogn Benedetg, Disentis 1992; P[eter] Z[umthor]: Die Verwandtschaft der Formen. Kapelle in Sogn Benedetg, 1988, in: Werk, Bauen + Wohnen, 4/1989; Dem neuen Sogn Benedetg zum Geleit, in: disentis 55/1988, S. 97–117.