18 — Siedlung Brentan, Castasegna

  • Die knappen, asymmetrischen Satteldächer der typisierten Einfamilienhäuser vermitteln zwischen Moderne und Tradition (© Ralph Feiner, Malans).

  • Die kleinen Volumina der Angestelltenhäuser wurden auf der Basis eines geometrischen Rasters unter Rücksichtnahme auf die Kastanienbäume und die natürliche Bodenmodellierung versetzt zueinander gruppiert (© Ralph Feiner, Malans).

  • Einheitlich gestaltet unter Einsatz vor Ort verfügbarer, traditioneller Materialien: Kastanien- und Lärchenholz sowie Gneis (© Ralph Feiner, Malans).

  • Die einzelnen Häuser zeigen eine gut proportionierte Fassadengestaltung auf der Basis des Goldenen Schnitts (© Ralph Feiner, Malans).

  • Die einzigartige Lage der Siedlung mitten im Kastanienwald war bestimmend für ihre Gesamtdisposition. Aufnahme um 1960 (in: Terra Grischuna 1961/4 [Das Bergell und die Stadt Zürich, Sondernummer zur Einweihung der Bergeller Kraftwerke der Stadt Zürich]).

Bauaufgabe Siedlungsbau Adresse Via Garbald/Via Brentan/Via d’la Centrale, 7608 Castasegna Bauherrschaft Elektrizitätswerke der Stadt Zürich Planer Bruno Giacometti Bauzeit 1957–1959

Im Zuge des Grossausbaus der Wasserkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg liessen die Elektrizitätsgesellschaften in Graubünden vereinzelt auch Werksiedlungen errichten. Im Bergell, das in den Fünzigerjahren zum Stromlieferanten der Stadt Zürich avancierte, entstanden – in Vicosoprano und Castasegna – zeitgleich zwei solcher Wohnkolonien; sie sollten den von auswärts kommenden Angestellten, die in einem bäuerlichen Umfeld «moderne» Berufe ausübten, eine neue Heimat bieten. Als Plansiedlungen mit geometrischem Raster und normierten Häusern, wie man sie von städtischen Arbeiterquartieren her kennt, konfrontierten sie das Tal mit neuen Wohnformen und einer hier zuvor unbekannten städtebaulichen Strategie. Projektiert wurden beide vom Architekten Bruno Giacometti (1907–2012), dem jüngsten Sohn Giovanni Giacomettis und Bruder Albertos. Giacomettis Beiträge im Rahmen der baukulturellen Erneuerung des Bergells sind bedeutsam, weil sie Konzepte der Moderne in einem auf die Umgebung bezogenen Kontext weiterentwickeln.

Die Siedlung Brentan oberhalb von Castasegna kam in einem der proklamiert «schönsten Kastanienwälder Europas» zu liegen. Die zehn freistehenden Einfamilienhäuser sind in regelmässiger Setzung unter grosser Rücksicht auf den alten Baumbestand und die Modellierung des Bodens in die Landschaft eingepasst. Ihre lichte Anordnung nimmt Bezug auf das herkömmliche Bebauungsmuster der Bergeller Selva mit ihren weit verstreuten Zweckbauten, gleichzeitig manifestiert sich darin das städtebauliche Ideal der durchgrünten, gegliederten und aufgelockerten Stadt. Auf das Umfeld abgestimmt sind die neuen Gebäude auch was ihre bescheidene Grösse, ihre unprätentiöse Erscheinung und den Einsatz ortsypischer Materialien wie Kastanien-, Lärchenholz und Gneis betrifft. Dass sie sich dennoch nicht als folkloristische «Kopien» präsentieren, verdanken sie der zeitgemässen Gestaltung von Grundriss, Gebäude- und Fassadenform. Die einheitliche Erscheinung und identische Ausrichtung der Bauten unterstreichen ihre siedlungsbauliche Zusammengehörigkeit.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Ulrike Fischer: Regionalistische Strategien in der Architektur Graubündens von 1900 bis in die Gegenwart, Tübingen, Berlin 2016, S. 159–173; Roland Frischknecht: Wechselströme in der Architektur – eine Stadt baut in den Alpen, in: Bruno Giacometti, Architekt (Beiheft Bündner Monatsblatt), Chur 2008, S. 41–65; Conradin Clavuot, Jürg Ragettli: Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden. Chur 1991, S. 182–187.