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In der von Caminada massgeblich geprägten Ortsplanung wurde für die Aussiedlerställe unterhalb der Kirche eine spezielle Zone ausgeschieden. Die geschlossene Baugruppe stärkt den Dorfrand statt ihn zu verzerren. Für die vorbildliche Einordnung neuer Landwirtschaftsgebäude ins Dorfbild erhielt Vrin 1998 den renommierten Wakkerpreis (© Ralph Feiner, Malans).
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Die zwei grosse Stallbauten (1994 und 1997) und die genossenschaftliche Metzgerei (1998/99) sind präzis entlang einer Hangkante aufgereiht. Mit ihren Pultdächern schmiegen sie sich bescheiden an den Hang. Das Schlachthaus (vorne) zeichnet sich gegenüber den benachbarten Ställen durch einen mächtigen Bruchsteinsockel aus (© Ralph Feiner, Malans).
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Die exponiert an die Hangkante platzierte Mehrzweckhalle von 1996 setzt am oberen Dorfrand von Vrin einen starken Akzent. Wie ein Brückenpfeiler führt der auf einem massiven Betonsockel verankerte Holzbau die 1963 erstellte Schulhausanlage talwärts fort (© Ralph Feiner, Malans).
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Der festliche Innenraum der Mehrzweckhalle wurde dank einer von Ingenieur Jürg Conzett erfundenen Binderkonstruktion möglich, die von Robert Maillarts Magazzini Generali (1924/25) in Chiasso inspiriert ist (© Lucia Degonda, Zürich).
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Neuer Verbindungsbau zwischen bestehenden Ställen (© Martin Tschanz, Zürich).
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Haus Caviezel, erbaut 1995. Die siedlungsbaulich sorgfältig integrierten Bauten sind von Kargheit und konstruktiver Sorgfalt bestimmt (© Lucia Degonda, Zürich).
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Haus Caminada, erbaut 2000. Als Holzbauer hat Gion A. Caminada der traditionellen Bauweise des Strickbaus neue Impulse verliehen; seine Gebäude knüpfen an die Tradition an, ohne sie zu kopieren oder zu verniedlichen (© Lucia Degonda, Zürich).
Vrin – in diesem abgelegenen Bergbauerndorf zuhinterst in der Val Lumnezia hat Gion A. Caminada (*1957) Architekturgeschichte geschrieben. Als gelernter Schreiner war er von dort nach Zürich gegangen, zur Weiterbildung an der Kunstgewerbeschule und an der ETH. Und dann in seine Heimat zurückgekehrt, um vorzumachen, was hochstehende Architektur auch sein kann: eine soziale Aufgabe, politisch engagiert, demokratisch verankert und akzeptiert. Mit dieser Arbeit hat er internationale Bekanntheit erlangt und Vrin zum bewunderten Vorbild für eine qualitätsvolle Dorfentwicklung gemacht.
Ausgangspunkt seiner Tätigkeit in Vrin war eine durchgreifende Reform der Landwirtschaft samt Melioration, die der einheimischen Bevölkerung eine Alternative zur Abwanderung bot. Den damit einhergehenden Wandel hat Caminada eng begleitet, als Architekt, Bauvorstand, Dorfplaner und Gestaltungsbeirat in Personalunion. Dem architektonischen Wildwuchs, von dem auch die Val Lumnezia nicht verschont geblieben ist, setzte er eine aus der Analyse des Ortes hergeleitete Architektur entgegen – ein kontextuelles Bauen, das neben formalen und städtebaulichen Aspekten auch gesellschaftliche und kulturelle Überlegungen miteinschliesst. Über ein Dutzend Neu- und Umbauten hat er allein im Dorf Vrin realisiert, ein Vielfaches mehr innerhalb der (inzwischen fusionierten) gleichnamigen Gemeinde: Wohnhäuser, Ställe, Gewerbebauten und öffentliche Gebäude von der Telefonzelle bis zur Mehrzweckhalle. Die Qualität seiner Eingriffe liegt einerseits in der konstruktiven und formalen Weiterentwicklung der regionstypischen Holzbauweise, die speziell die Möglichkeiten der lokalen Handwerker und Ressourcen berücksichtigt, anderseits in der behutsamen Ergänzung der überkommenen Dorfstruktur und im sensiblen Umgang mit der Landschaft. Caminadas Bauten sind, ohne ihre Entstehungszeit zu verleugnen, in den traditionellen Habitus von Dorf und Landschaft zurückgebunden – und erzielen gerade durch diese Zurückhaltung eine starke Wirkung. Es entsteht eine subtile Spannung zwischen Alt und Neu, die ein Bild der Kontinuität evoziert.
Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Bettina Schlorhaufer (Hrsg.): Cul zuffel e l’aura dado – Gion A. Caminada, Luzern 2018 (2., erw. Aufl.); Leza Dosch: Lernen von Vrin, in: werk, bauen + wohnen 3/2003, S. 70/71; Anna Meseure, Martin Tschanz, Wilfrid Wang (Hg.): Architektur im 20. Jahrhundert: Schweiz, München […] 1998, S. 296/297; Neues Bauen in den Alpen. Architekturpreis 1999, hrsg. von Christoph Mayr Fingerle, Basel […] 2000, S. 54–65; Gion A. Caminada, Jürg Conzett: Selbstverständlich Holz, in: archithese 5.95, S. 52–55.