36 — Chamanna Coaz, Val Roseg

  • Die kristalline Gestalt zusammen mit den traditionellen Bruchsteinmauern und der im Eingangsbereich vorhandenen Terrasse sind unverkennbare Merkmale einer Eschenmoser-Hütte (© Ralph Feiner, Malans).

  • Die Architektur der von Eschenmoser entworfenen Hütten lebt von der Spannung zwischen der gewaltigen Landschaft …

  • … und einer in sich gekehrten Hüttenatmosphäre (© Ralph Feiner, Malans).

  • Zustand vor der Erweiterung von 1982 (© Robert Schönbächler, Alpines Museum der Schweiz, Bern).

Bauaufgabe Berghütte Adresse Vadret da Roseg 4, 7503 Samedan Bauherrschaft SAC Sektion Rätia Planer Jakob Eschenmoser Bauzeit 1964, Erweiterung 1982

Seit seiner Gründung 1863 bemühte sich der Schweizer Alpen-Club um die Schaffung von Unterkünften im (Hoch-)gebirge. Nach dem Zweiten Weltkrieg führten die Zunahme des Tourismus und die gesteigerten Komfortansprüche der Nutzer zu einer Intensivierung dieser Bautätigkeit. Unter den SAC-Hütten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stechen die Bauten von Jakob Eschenmoser (1908–1993) markant hervor. Zwischen 1957 und 1986 realisierte der St. Galler Architekt im Auftrag des SAC ein konzeptionell und gestalterisch einheitliches Oeuvre von insgesamt 15 Neu- und Umbauten. Formal gehören seine eigenwilligen Hütten dem organischen, quasi naturnahen Bauen an; Vorbilder sind in Hans Leuzingers erratischer Planura-Hütte von 1930 und Heinrich Tessenows Villa Böhler von 1918 zu finden. 1973 legte Eschenmoser seine Gedanken zum Hüttenbau in einer eigenen Publikation dar. Unter den elf porträtierten Werken findet sich auch die Coaz-Hütte in der Val Roseg, die 1964 als Ersatz für einen weiter talaus gelegenen älteren Bau errichtet worden war. Das nach dem Erstbesteiger des Piz Bernina, Johann Coaz (1822–1918), benannte Refugium auf 2610 m ü.M. stellt ein geradezu idealtypisches Beispiel einer «Eschenmoser-Hütte» dar.

Konstruiert mit traditionellem Bruchsteinmauerwerk, ruht der kompakt-gedrungene Bau einem Findling gleich in der urtümlichen Gesteinslandschaft. Seine kristalline Gestalt ist dem polygonalen Grundriss geschuldet. Aus ihm erklärt sich auch die besondere Geometrie des Dachs, das sich wie ein Schildkrötenpanzer schützend über das introvertierte Gebäude legt. Der Grundriss ist schneckenförmig aus der Mitte entwickelt und Ausdruck einer präzisen Idee optimaler Raumnutzung. Alle Räume sind entlang der Aussenmauer konzentriert, die Verkehrsflächen so auf ein Minimum reduziert. Die trapezförmige Form der Schlafplätze im Dachgeschoss, die dem Oberkörper mehr Platz gewährt als den Füssen, leitet sich ab von der menschlichen Anatomie.

Der 1982 von Eschenmoser seitlich angefügte Erweiterungstrakt ordnet sich dem Altbau unter – allerdings ohne Verzicht auf Eigenständigkeit.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Luca Gibello: Hüttenbau im Hochgebirge. Ein Abriss zur Geschichte der Hüttenarchitektur in den Alpen, Bern 2014, S. 100–102; Roland Flückiger-Seiler: 150 Jahre Hüttenbau in den Alpen. 2. Teil: Eschenmoser und neue Experimente, in: Die Alpen, 8/2009, S. 26–31; Schweizer Architekturführer 1920–1990, Bd. 1 (Nordost- und Zentralschweiz), Zürich 1992, S. 87; Jakob Eschenmoser: SAC-Hütten einst und heute, in: Terra Grischuna 1988/Heft 4, S. 18–21; Jakob Eschenmoser: Vom Bergsteigen und Hüttenbauen, Zürich 1973, S. 82–93.