43 — Haus Zulauf, Chur

  • Plastisch geformt und auf wenige Materialien beschränkt vermag das Einfamilienhaus seine Umgebung zu prägen (© Ralph Feiner, Malans).

Bauaufgabe Wohnbau Adresse Berggasse 40, 7000 Chur Bauherrschaft Rudolf Zulauf Planer Georg (Jorge) Rudolf Bauzeit 1967

Als «béton brut» (rohen Beton) hatte Le Corbusier (1887–1965) seinen bevorzugten Werkstoff beschrieben. Daraus wurde der Begriff «Brutalismus» kreiert als Bezeichnung für jenen markanten Baustil, der sich in den Fünfzigerjahren zu artikulieren begann und in den Sechzigerjahren zu voller Entfaltung gelangte. Brutalistische Architektur ist gekennzeichnet durch die Offenlegung der Konstruktion, die «ehrliche», sichtbar gemachte Verwendung des Materials – allen voran des in seiner ursprünglichen Beschaffenheit belassenen Betons – und das Vertrauen in die Wirkkraft massiger Bauformen.

Brutalismus blieb nicht auf grosse, öffentliche Gebäude beschränkt. Auch bei bescheideneren Bauaufgaben wie etwa privaten Wohnhäusern setzte man auf wuchtigen Ausdruck und die sinnliche Ästhetik des Sichtbetons. Ein beredtes Beispiel hierfür ist das Haus Zulauf am Fusse des Mittebergs nordöstlich der Altstadt von Chur: ein kompakter Quader im steilen Gelände zwischen Waldrand und Gasse, der bei aller Mächtigkeit einen leichten, verspielten Zug aufweist. Das zweistöckige Haus ist eine expressive Betonplastik mit kühn vorkragenden und dramatisch zurückversetzten Teilen. Das überhohe Dach, welches das Gebäude in der Art einer Brücke überspannt, betont die Schwere der monolithischen Konstruktion, die ihrerseits über dem Sockel zu schweben scheint. Die Betonoberflächen stellen demonstrativ die Schalungsstruktur zur Schau; daneben prägen massives Holz und Glas das Äussere des Baus.

In einem beschaulichen Einfamilienhaus-Quartier mit mehrheitlich kleinteiligen Giebelhäusern wirkt das grosszügige Flachdachgebäude wie ein Manifest. Es offenbart eine für die Moderne typische kompromisslose Haltung, die nicht die Anpassung, sondern die Überwindung der Vergangenheit sucht. Entworfen hat das Bauwerk der Bündner Architekt Georg Rudolf (1927–2019), der nach seinem Studium im Büro von Jacques Schader (1917–2007) die avantgardistischen Architektur-Tendenzen der Zeit absorbiert hatte – und diese in den Sechzigerjahren gar nach Peru importierte.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Leza Dosch: Nachkriegsmoderne in Chur (Architekturrundgänge in Graubünden), hrsg. vom Bündner Heimatschutz, Chur 2013, Nr. 15; http://cammp.ulima.edu.pe/autores/rudolf-georg/