45 — Oberstufenschulhaus, Paspels

  • Der klare, kubische Sichtbeton-Bau präsentiert sich wie ein Fels in der Landschaft. In der Fassadengestaltung spiegelt sich die differenzierte Organisation der Verkehrs- und Nutzflächen. Hinter den in die Wand vertieften Fensterbändern befinden sich die Klassenräume. Die flächenbündig angeschlagenen Fenster belichten die Flur- und Treppenhausbereiche (© Ralph Feiner, Malans).

  • In den Erschliessungsbereichen – im Bild die grosszügige Eingangshalle des Erdgeschosses – bestehen Wände, Decken und Fussboden aus sichtbar belassenem Beton (© Ralph Feiner, Malans).

  • Erschliessungshalle im Obergeschoss: Das von vier Seiten einfallende Licht dramatisiert die unregelmässige Geometrie und unterstreicht den Charakter der zusammenlaufenden bzw. sich öffnenden Raumbereiche (© Ralph Feiner, Malans).

  • Auf wenige Materialien beschränkt: Die Konstruktion ist aus Beton, die Fensterrahmen und der Eingang aus edler Bronze, das Dach aus Kupfer (© Heinrich Helfenstein, in: Meseure, Tschanz, Wang: Architektur im 20. Jahrhundert, 1998, S. 314).

  • Mit Lärchenholz ausgekleidet, wirken die Schulzimmer wie Futterale. Mit Fenstern, die die ganze Länge des Raumes einnehmen, öffnen sie sich zur Umgebung (© Heinrich Helfenstein, in: Meseure, Tschanz, Wang: Architektur im 20. Jahrhundert, 1998, S. 314).

Bauaufgabe Schulhaus Adresse Stradas 4, 7417 Paspels Bauherrschaft Gemeinde Paspels Planer Valerio Olgiati Bauzeit 1997/98

Unter den ambitionierten jungen Bündner Architekten, die in den Neunzigerjahren ihren viel beachteten Durchbruch schafften, ist Valerio Olgiati (*1958) fraglos der Radikalste. Sein Thema ist nicht das kontextuelle Entwerfen, sondern eine «nicht-referenzielle», quasi «reine» Architektur ohne kulturelle und historische Bezüge; eine Architektur, die ihren Sinn aus sich selbst nährt und durch ihre Neuartigkeit die Vorstellungskraft der Menschen zu fesseln vermag.

Die Schulhauserweiterung in Paspels ist Olgiatis erstes signifikantes Werk: ein Monolith aus präzis gegossenem Sichtbeton, puristisch einfach und minimalistisch reduziert. Wie ein Felsblock, scharf geschnitten und feingeschliffen, ragt der karge Solitär unvermittelt aus dem Wiesenhang am oberen Siedlungsrand hervor. Mit seinem Pultdach bergwärts strebend setzt er sich gezielt von der älteren Schulanlage auf der anderen Strassenseite ab. Völlig auf sich selbst bezogen negiert er die Einbindung in einen grösseren Komplex und behauptet seine Eigenständigkeit.

Die Kanten des dreigeschossigen Gebäudes weichen – aussen kaum wahrnehmbar – um rund 5 Grad vom rechten Winkel ab. Das Spiel mit der unregelmässigen Geometrie wird im Innern gesteigert und zur Schaffung vielfältiger räumlicher Eindrücke genutzt. Dem verzogenen Quadrat ist in den beiden oberen Stockwerken ein verzerrtes Kreuz eingeschrieben, das sich aus der Anordnung der individuell geformten und unterschiedlich grossen Klassenzimmer in den Ecken generiert. Das aus allen Himmelsrichtungen in die Erschliessungshalle einfallende Licht lässt einen den spannungsvoll verästelten Raum im Tagesverlauf stets anders wahrnehmen. Bereichert wird das Raumerlebnis durch den Gegensatz zwischen den kühlen, asketisch harten Betonräumen der Korridore und den mit Lärchenholz warm ausgekleideten «Schulstuben» mit ihrer heimeligen Intimität – ein Kontrast, der sich auch akustisch auswirkt und die Sinne zusätzlich stimuliert. Dazu kommt die differenzierte Befensterung, die jeweils einen anderen Ausschnitt der umgebenden Landschaft in den Raum projiziert.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Köbi Gantenbein, Ariana Pradal, Jürg Ragettli, Ralph Feiner: Bauen in Graubünden. Ein Führer zur zeitgenössischen Architektur, Zürich 2006 (3., erw. Aufl.), S. 162/163; Gute Bauten in Graubünden 2001 (BVR-Informationen 2/01, Sonderheft), hrsg. vom Bündner Heimatschutz und der Bündner Vereinigung für Raumplanung, Chur 2001; Anna Meseure, Martin Tschanz, Wilfried Wang (Hrsg.): Architektur im 20. Jahrhundert: Schweiz, München/London/New York 1998, S. 314/315; Valerio Olgiati: Paspels, mit einem Text von Alberto Dell’Antonio, Zürich 1998; Benedikt Loderer: Der Fels von Paspels, in: Hochparterre 11 (1998), Heft 6/7, S. 22–24; M.T. [Martin Tschanz]: Schulhauserweiterung Paspels, in: Archithese 27 (1997), Heft 2, S. 36/37.