46 — Überdachung Postautodeck, Chur

  • Das markante Stahlgerippe mit seiner gläsernen Haut gibt der Bündner Hauptstadt einen internationalen Touch. Die verwendeten Materialien verleihen dem kühnen Ingenieurbauwerk die zeittypische Cleanness und betonen dessen technischen Aspekt (© Ralph Feiner, Malans).

  • Als konvexer Körper schafft die Halle eine Monumentalität und Zeichenhaftigkeit, die den Brennpunkt des öffentlichen Verkehrs zum neuen Wahrzeichen erhebt (© Ralph Feiner, Malans).

  • Am oberen Ende rahmen zwei mächtige Kopfbauten den Halleneingang und bilden von Westen her ein «Tor zur Stadt». Die beiden Gebäude sind die einzig realisierten Elemente der ursprünglich vorgesehenen Randbebauung, welche das überwölbte Gleisfeld auf einer Länge von 300 m hätte flankieren sollen (© Ralph Feiner, Malans).

Bauaufgabe Postautostation Adresse Bahnhofplatz, 7000 Chur Bauherrschaft PTT Planer Richard Brosi, Robert Obrist Bauzeit 1990–1992

Im 19. Jahrhundert entstanden weltweit riesige Bahnhofshallen, die – als wichtige Repräsentationsbauten einer Stadt – zum Symbol und Verdichtungsraum von Modernität und Urbanität wurden. An diese Tradition knüpften die Architekten Richard Brosi (1931–2009) und Robert Obrist (1937–2018) an, als sie Mitte der Achtzigerjahre die Neugestaltung des Churer Bahnhofareals entwarfen. Ihr Vorschlag sah vor, das Gleisfeld auf einer Länge von 300 m mit einem verglasten Gewölbe von 52 m Spannweite zu überdecken, um dessen Bedeutung als Brennpunkt des öffentlichen Verkehrs und als Scharnier zwischen Alt- und Neustadt zeichenhaft zu überhöhen; flankiert von einer kommerziellen Randbebauung sollte sich der Bahnhof als neue Stadtmitte positionieren. Die Idee einer Neuordnung des Stadtgefüges in einem Wurf und das Denken im grossen Massstab erinnern an modernistische Städtebautheorien; im Kontext einer beschaulichen Alpenstadt haftet einem Vorhaben dieser Dimension leicht etwas Megalomanes an.

Realisiert wurde das ambitiöse Projekt lediglich in seinem westlichsten Abschnitt, dort, wo die spektakuläre Konstruktion aus Stahl und Glas das Plateau der Postautostation überspannt. Um die intendierte Eleganz des monumentalen Bauwerks zu gewährleisten, holte man sich Ingenieure aus Grossbritannien an Bord. So kam die Bündner Kapitale zu einem Werk des berühmten Peter Rice (1935–1992) vom Londoner Büro Ove Arup & Partners, das für das Tragsystem so ikonischer Strukturen wie dem Sydney Opera House verantwortlich zeichnet.

Das transparente Hallendach in Chur verfügt über ein neuartiges Stützwerk, dessen Hauptelement aus einer zitronenschnitzähnlichen Rohrbogenkonstruktion besteht, die über speichenartig angeordnete Zugbänder stabilisiert und an eingespannten Doppelstützen aufgehängt ist. Die Dachhaut aus Verbundsicherheitsglas hebt sich, statisch begründet und ästhetisch wirksam, leicht von der Tragkonstruktion ab. Im Innenraum sind die Scheinwerfer auf Wolken von runden Spiegeln gelenkt zwecks Streuung des künstlichen Lichts. So wird das Deck nachts genügend ausgeleuchtet ohne aber im Stadtbild als bengalisches Feuer zu wirken.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Köbi Gantenbein, Ariana Pradal, Jürg Ragettli, Ralph Feiner: Bauen in Graubünden. Ein Führer zur zeitgenössischen Architektur, Zürich 2006 (3., erw. Aufl.), S. 18/19; Hannes Ineichen (Hrsg.). Robert Obrist. Bauten, Projekte und Planungen 1962–2002 (Monografien Schweizer Architekten und Architektinnen, Bd. 6), Blauen 2002, S. 77–93; Auszeichnung guter Bauten im Kanton Graubünden 1994, hrsg. von der Bündner Vereinigung für Raumplanung und dem Bündner Heimatschutz (Informationen 1/95, Sonderheft), Chur 1995; R. B., R.O. [Richard Brosi, Robert Obrist]: Modern konzipiert, handwerklich ausgeführt: die Hallenkonstruktion des Bahnhofs Chur, erste Etappe, in: Werk, Bauen + Wohnen 80 (1993), Heft 11: Handwerklich, industriell, vorfabriziert, S. 28–35.