51 — Haus Flury-Zarn, Domat/Ems

  • Ein Wohnhaus als Pavillon, der über dem Terrain zu schweben scheint. Im Zusammenspiel mit dem Calandamassiv im Hintergrund kommt der rechteckigen Scheibe umso grössere Wirkung zu (© Ralph Feiner, Malans).

  • Zweiseitig fast vollflächig verglast, schafft das grosse Wohnzimmer einen starken Aussenbezug (© Ralph Feiner, Malans).

  • Blick in den breiten Flur, der alle Räume des eingeschossigen Hauses erschliesst. Die Garderobenablagen rechts verweisen auf die heutige Nutzung des Baus als Kinderhort (© Ralph Feiner, Malans).

  • Aufnahme 1965 (Archiv Aita Flury).

Bauaufgabe Wohnbau Adresse Plazza Staziun 21, 7013 Domat/Ems Bauherrschaft Privat Planer Alfred Theus Bauzeit 1964/65

Zusammen mit Robert Obrist (1937–2018) hatte Alfred Theus (1930–2003) 1966–1968 das inzwischen abgebrochene Hallenbad in St. Moritz erbaut, einen kapitalen Sichtbetonbau, der sich unverhohlen auf Le Corbusier (1887–1965) bezog. Kurz vorher half er in Domat/Ems der Familie des Postverwalters Jakob Flury-Zarn, sich ihren ganz persönlichen «Traum vom Einfamilienhaus» zu erfüllen. Dieses zeigt eine andere Spielart der Nachkriegsmoderne als der St. Moritzer Tourismusbau – ein Unterschied, der neben der gestalterischen Flexibilität des Architekten wohl auch die Verschiedenheit von öffentlicher und privater Bauaufgabe reflektiert.

Im hinteren Teil eines grossen Grundstücks platzierte Theus eine im Kontext der umliegenden Kernzonenbebauung ganz fremdartig anmutende Pavillonarchitektur, umgeben von einem parkartigen Garten, der eine Distanz zur Nachbarschaft und besonders zum angrenzenden Bahnhofsareal schafft. Der abstrakt-strenge, ja puristische Wohnbau lässt vage Bezüge zu amerikanischen Vorbildern erkennen, etwa zu Mies von der Rohes (1886–1969) berühmtem Farnsworth House (1950/51). Es ist ein langgezogenes, flach gedecktes Gebäude von nur einem Geschoss, welches durch das zurückversetzte Tiefparterre vom Erdboden abgehoben und über diesem zu schweben scheint. Das in der Hauptsache wirkende Element ist die Horizontale, die im Zusammenspiel mit der vertikal aufsteigenden Bergflanke des Calanda Spannung erzeugt. Zwei Betonplatten rahmen den Baukörper oben und unten ein, dazwischen sind Fenster mit hölzernen Brüstungen und Mauerscheiben aus Backstein, sichtbar belassen aus Gründen der damals beliebten «Materialechtheit». Im Innern wird das Haus durch die klare Aufteilung in konventionelle Raumzellen geprägt. Raumhohe Türen und bis zur Decke reichende Fenster setzen diese zueinander in Beziehung und etablieren den Eindruck einer lichtdurchfluteten Grosszügigkeit. Der darin aufscheinende Wunsch nach «plan libre»-Qualitäten kulminiert in einer offenen Wohn- und Essraumsituation.

2015 wurde das bauzeitlich erhaltene Wohnhaus von Aita Flury (*1969) mit minimen Eingriffen zur Kinderkrippe umfunktioniert.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur https://www.aitaflury.ch/kita-domat-ems/