26 — Fermata Dogana, Castasegna

  • Ein Meisterstück der Pavillon-Architektur, das mit einfachen konstruktiven und architektonischen Mitteln eine expressiv-poetische Wirkung erzielt (© Ralph Feiner, Malans).

  • Mit der roten Farbe, der vorfabrizierten Konstruktion, der Materialisierung in Aluminiumblech und der besonderen Situierung hebt sich der Zollpavillon pointiert von seiner Umgebung ab (© Ralph Feiner, Malans).

Bauaufgabe Zollgebäude Adresse Via Principale 4, 7608 Castasegna Bauherrschaft Eidgenössische Zolldirektion Planer Bruno Giacometti Bauzeit 1958/59

Am Dorfausgang des Grenzortes Castasegna, unweit der Werksiedlung Brentan (Objekt 18), baute Bruno Giacometti (1907–2012) Ende der Fünfzigerjahre im Auftrag des Bundes eine Zollstation als freistehenden Solitär. Während die zeitgleich entstandenen Häuser der Wohnkolonie die Anpassung an den Bestand suchen, hebt sich das Zollhäuschen pointiert von seiner Umgebung ab. Es präsentiert sich als ein Exponat modernster Schweizer Architektur ohne den geringsten Hauch einer regionalistischen Tendenz. Souverän behauptet sich der feingliedrige Bau gegenüber dem spätklassizistischen Zollhaus auf der anderen Strassenseite, dessen gravitätischer Strenge er mit einer frivol anmutenden Leichtigkeit begegnet. Der elegante Pavillon, ein Staatsbau im Kleinformat, bringt eine beschwingte Note ins Grenzareal. Er repräsentiert ein Land im Aufbruch, fortschrittsgläubig und zukunftsorientiert, kulturell und technisch auf der Höhe der Zeit.

Die signalhaft rot gefärbte polygonale «Box» steht am abfallenden Strassenrand und kragt effektvoll über die Hangkante hinaus. Das Gebäude gilt als erstes Beispiel eines vorfabrizierten Baus im Bergell. Eine Plattform aus armiertem Sichtbeton bildet das solide Fundament für eine Holzrahmenkonstruktion, die mit Paneelen aus emailliertem Aluminium umhüllt ist; das industriell hergestellte Metall hatte im Zuge der Rationalisierung des Bauwesens nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Weg in die Architektur gefunden. Das überstehende flache Dach – eine Miniversion des weitgespannten Stahltragwerks, das Giacometti als Mitarbeiter Karl Egenders für das Zürcher Hallenstadion (1938/39) mitentworfen hatte – wird von lediglich vier filigranen Stahlstützen getragen. Es scheint über dem Gebäude zu schweben – eine Wirkung, die der rundumlaufende Fries aus transparentem Glas zusätzlich betont. Mit Holz ausgekleidet, verströmt der Raum im Innern eine Atmosphäre gediegener Behaglichkeit.

Seiner ursprünglichen Funktion entledigt, dient die von Armando Ruinelli (*1954) subtil restaurierte ehemalige Zollstation heute als Bushaltestelle und als Raum für kulturelle Nutzungen.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Bruno Giacometti erinnert sich. Gespräche mit Felix Baumann. Mit einem Werkverzeichnis von Roland Frischknecht, Zürich 2009, S. 122/123; Carmelia Maissen: Repräsentation der Öffentlichkeit. Bruno Giacomettis öffentliche Bauten in Graubünden, und Armando Ruinelli: Die Restaurierung der Gebäude von Bruno Giacometti […], in: Bruno Giacometti, Architekt (Beiheft Bündner Monatsblatt), Chur 2008, S. 66–77 bez. 142–149.