34 — Kraftwerkzentrale, Zervreila

  • Der wuchtigen Massivität und Schwere der geschwungenen Staumauer aus Beton ist die flächige, dünn und leicht erscheinende Architektur der Zentrale entgegengesetzt. Im gestalterisch hervorgehobenen Kopf des Gebäudes befinden sich der Eingang, die Werkstatt, das Büro und die Angestelltenwohnung (© Ralph Feiner, Malans).

  • Die maschinellen Einrichtungen sind im geschlossenen hinteren Teil des Hauses untergeracht; die Tragkonstruktion des Gebäudes, ein Betonrahmengerüst, ist in der Maschinenhalle offen sichtbar (© Ralph Feiner, Malans).

  • Die spielerisch-leichte Wirkung der  Betonrahmenkonstruktion wird durch die rasterartige Auflösung der Hauptfassade sowie die Knicke in der Seitenwand und im weit vorkragenden Flugdach betont (in: Kraftwerke Zervreila, St. Gallen 1959).

  • Im Schatten der monumentalen Bogengewichtsmauer vermag sich die verhältnismässig kleine Zentrale als ästhetisch anspruchsvolle Industriearchitektur zu behaupten (in: Kraftwerke Zervreila, St. Gallen 1959).

Bauaufgabe Kraftwerkbau Adresse Zervreila 230, 7132 Vals Bauherrschaft Kraftwerke Zervreila AG Planer Iachen Ulrich Könz Bauzeit 1958

Als kahle Betonwand präsentiert sich die mächtige Bogengewichtsmauer des Zervreila-Stausees, der zuhinterst im Valsertal 100 Millionen Kubikmeter Wasser zur Stromgewinnung fasst (Objekt 11). Ein kühnes Ingenieurbauwerk, das in seiner gestalterischen Reduziertheit eine ganz eigene ästhetische Wirkung zu entfalten vermag. Am Fusse dieses kolossalen Baus, der rund 150 m in die Höhe ragt, setzt die Kraftwerkzentrale einen kontrapunktischen Akzent: klein statt gross, flächig-leicht statt monolithisch-schwer, elegant statt roh, heiter-beschwingt statt gravitätisch-streng. Aus diesem dialektischen Bezug nährt sie ihre kraftvolle Präsenz. Mit seinen «papierig» dünnen Wandscheiben und dem weit auskragenden Flugdach erscheint das Gebäude, eine moderne Betonrahmenkonstruktion, fast schwerelos. In einer dynamischen Vorwärtsbewegung orientiert es sich von der Mauer weg, quasi vom Schatten zur Sonne hin: Mit seinem trichterförmig ausgeweiteten, durch eine rasterförmig aufgelöste Glasfassade abgeschlossenen Kopfteil öffnet es sich zum Tal. Die abgewinkelten Flächen von Seitenwand und Dach verzerren die perspektivische Wirkung des Baus und lassen ihn grösser erscheinen, als er in Wirklichkeit ist.

Entworfen hat das filigrane Haus der in Guarda ansässige Iachen Ulrich Könz (1899–1980), ein gemeinhin als «Regionalist» betitelter Architekt, der in seinem Werk nach einer Synthese zwischen regionaler Bautradition und internationalen Strömungen suchte. Mit ihrer Minimalisierung in Form und Material steht seine Zervreiler Zentrale allerdings ganz im Zeichen der Moderne – getreu dem Diktum von ETH-Professor Hans Hofmann (1897–1957), wonach «ein Kraftwerk als Bauaufgabe unserer Zeit eine eigene Formensprache haben müsse und nicht etwa – in einem zwar gut gemeinten, aber missverstandenen Heimatschutz – Formen von ortsüblichen Bauweisen übernehmen dürfe.» Hoffmann hatte 1953/54 in Birsfelden eine Ikone des modernen Kraftwerkbaus geschaffen, deren Einfluss sich auch in der feinen Detaillierung des Könz’schen Baus erkennen lässt.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Jürg Ragettli: Architektur der Nachkriegsmoderne als denkmalpflegerische Aufgabe, in: Kunst + Architektur in der Schweiz, 55(2004), Heft 4 (1960–1980: ein Erbe), S. 48–55, hier. S. 53/54; Leza Dosch: Kunst und Landschaft in Graubünden. Bilder und Bauten seit 1780, Zürich 2001, S. 349–352; Schweizer Architekturführer 1920–1990, Bd. 1 (Nordost- und Zentralschweiz), Zürich 1992, Nr. 334, S. 93; Conradin Clavuot, Jürg Ragettli: Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden. Chur 1991, S. 140–145; Hans Hofmann: Kraftwerk Birsfelden, in: Werk 2/1957, S. 38–48, hier S. 43.