40 — Bündner Lehrerseminar Cleric, Chur

  • Die Westfassade des hohen Klassentraktes offenbart besonders deutlich die sorgsame Gestaltung der Sichtbeton-Fassaden (© Ralph Feiner, Malans).

  • Ostfassade des Klassentraktes. Das Erdgeschoss ist einem Sockel gleich zurückversetzt und weitgehend verglast, so dass der Bau visuell zu schweben beginnt; die hohe Transparenz sorgt für eine Verbindung der Innenräume mit dem Aussenraum (© Ralph Feiner, Malans).

  • Der Haupteingang im Spezialtrakt; auf dem Pausenplatz steht eine Stele des Zürcher Bildhauers Ödön Koch (© Ralph Feiner, Malans).

  • Sichtbeton, Kunststein, Holz und Glas prägen die Durchgangsbereiche mit den frei eingehängten Treppen (© Ralph Feiner, Malans).

  • Die Innenräume – im Bild die renovierte Aula – sind durch strukturelle Betonelemente wie Pfeiler und Unterzüge und das Holzwerk charaktersiert (© Ralph Feiner, Malans).

  • Historische Luftaufnahme von Südwesten; wie die Äste eines Baumes verzahnen sich die an- und übereinandergelegten Gebäudetrakte mit dem Aussenraum (© Henn, StAGR XXI d D 75).

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Bauaufgabe Schulhaus Adresse Plessurquai 63, 7000 Chur Bauherrschaft Kanton Graubünden Planer Andres Liesch Bauzeit 1962/63

Als frühes Beispiel einer Sichtbetonarchitektur in Graubünden gehört das Churer «Cleric» zu den prägendsten Bauten der Nachkriegsmoderne im Kanton; errichtet als Lehrerseminar, ist es heute Teil der Bündner Kantonsschule. Der monumentale Bau resultierte aus einem 1960 durchgeführten Wettbewerb, den der Churer Andres Liesch (1927–1990) für sich entschied; dem jungen ETH-Absolventen, der seit 1957 in Zürich und Chur ein eigenes Büro führte, brachte dieser Erfolg den beruflichen Durchbruch (Objekt 3). Das Schulgebäude, das in kraftvoller Art den Ort dominiert, knüpft an die internationale Moderne der Dreissigerjahre an – und manifestiert eine deutliche Abkehr von der moderaten, quasi auf den heimatlichen Boden geholten Moderne, wie sie im Nachgang der Landi 1939 in den Fünfzigerjahren noch vorherrschend war.

Geschickt ins Gelände eingebettet, breitet sich der verhältnismässig niedrige Gebäudekomplex am Fusse des Kathedralhügels am flachen Ufer der Plessur aus. Das Bauvolumen ist in drei ineinandergreifende Flachdachtrakte unterschiedlicher Funktionen aufgegliedert. Das Zentrum der mehrflügeligen Anlage bildet der langgestreckte Spezialtrakt von zwei Geschossen, ihm sind in sinniger Staffelung rechtwinklig zwei zueinander versetzte Riegel angeschoben bzw. übergestülpt: zum Fluss hin die eingeschossige Aula, gegen den steilen Fels der viergeschossige Klassentrakt. Um einen Vorplatz freizugeben, ist der Bau vom Plessurquai markant zurückversetzt; über Freitreppen gelangt man auf die weite Terrasse des Pausenplatzes, die gleichsam als Podest für die Hochbauten dient. Zur plastischen Wirkung des Baus trägt der Aufbau der Fassaden das Seine bei: Die vorfabrizierten Betonplatten mit der sich abzeichnenden Schalungsstruktur sind vorgehängt und erzeugen ein scharf artikuliertes Fugenbild, zusätzliche Akzente setzen die kräftig hervortretenden Fensterpfosten und Brise-soleils.

2010–2012 wurde das «Cleric» einer Gesamtsanierung unterzogen. Pablo Horváth (*1962) hat die schwierige Aufgabe einer Anpassung an die aktuell gültigen Neubaunormen im Sinne einer «rekonstruierenden Erneuerung» behutsam gelöst.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Daniel Walser: «Substanz gewinnen […].» Andres Liesch (1927–1990), Architekt, in: Bündner Monatsblatt, 1/2019, S. 178–199; Michael Hanak: Wiederbelebter Brutalismus […], in: werk, bauen+wohnen 10/2013 (Junge Denkmäler), S. 30–35; Michael Hanak: Skulpturale Nachkriegsmoderne in Chur, in: Bündner Monatsblatt, 1/2013, S. 65–98; Leza Dosch: Nachkriegsmoderne in Chur (Architekturrundgänge in Graubünden), hrsg. vom Bündner Heimatschutz, Chur 2013, Nr. 10; Schweizer Architekturführer 1920–1990, Bd. 1 (Nordost- und Zentralschweiz), Zürich 1992, Nr. 305, S. 75.