27 — Lavoitobelbrücke, Tamins

  • Als Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Ingenieur und Künstler entstand an landschaftlich exponierter Lage eine höchste eigenwillige Brückenskulptur (© Ralph Feiner, Malans).

  • Aus der Froschperspektive wird die skulpturale Qualität des Bauwerks besonders deutlich (© Ralph Feiner, Malans).

  • Die Brücke im Bau (www.meichtry-widmer.ch/Projekt/102).

  • Zusammen mit der nahe gelegenen Rheinbrücke von Christian Menn gehört die Lavoitobelbrücke zu den besten Repräsentanten des schweizerischen Brückenbaus der 1960er-Jahre (Max, Binia + Jakob Bill Stiftung, Adligenswil).

  • «Ich glaube, wenn ich heute noch wählen könnte, ich möchte möglichst viele Brücken bauen zusammen mit den kompetenten Fachleuten: Denn hier ist das Nützliche mit dem Technischen und mit der Umwelt in harmonischem Gleichgewicht» (Max Bill, 1976; Foto: www.meichtry-widmer.ch/Projekt/102).

  • Die Fahrbahnplatte wurde in vorgespanntem Stahlbeton ausgeführt, einer sehr wirtschaftlichen und hochwertigen Lösung zwischen normalem Stahlbeton und teilweiser Vorspannung (www.meichtry-widmer.ch/Projekt/102).

Bauaufgabe Brücke Adresse Kantonsstrasse H19, 7015 Tamins Bauherrschaft Kanton Graubünden Planer Max Bill, Mirko Robin Roš Bauzeit 1966/67

Er war einer der bekanntesten Abgänger der legendären Bauhaus-Schule und ein künstlerischer Tausendsassa: Max Bill (1908–1994), Bildhauer, Maler, Grafiker, Designer und Architekt. Der «Schönheit der Reduktion» galt sein Augenmerk. Ein besonderes Interesse entwickelte Bill auch für die Ästhetik des Brückenbaus. Speziell die «eleganten neuartigen Bogenbrücken» Robert Maillarts (1872–1940) hatten es ihm angetan. Während des Zweiten Weltkriegs fotografierte er sie; 1949 erschien seine Monografie über den Schweizer Eisenbetonpionier.

Die Beschäftigung mit Maillart weckte in Bill den Wunsch, selbst einmal eine Brücke zu entwerfen. Gelegenheit dazu erhielt er, als ihn Mirko Robin Roš (1912–1968) vom Zürcher Ingenieurbüro Aschwanden & Speck für den Entwurf der Brücke über das Lavoitobel bei Tamins beizog – ein grosses Bauwerk in exponierter Lage, dorfnah und eminent fernwirksam. Aus der Zusammenarbeit zwischen Künstler und Ingenieur entstand eine faszinierende Betonskulptur, die im Brückenbau eine fast provokant eigenwillige Meisterleistung darstellt. Die experimentell wirkende Konstruktion, die hochschlanke Pfeiler mit leicht gekrümmten, nach unten gespreizten Streben kombiniert, sollte Bill später als eine seiner «glücklichsten Realisationen» bezeichnen.

Konstruktiv ist das einzigartige Tragwerk ein Zwitter zwischen klassischer Bogenbrücke (Objekt 13) und Sprengwerk (Objekt 02). «Seinerzeit wurde mir das Problem gestellt», erinnerte sich Bill, «einen das Tal überspannenden Bogen so mit der Fahrbahnplatte zu verbinden, dass keine formalen Mängel auftreten. Für den Scheitelpunkt hatten die Ingenieure keine befriedigende Lösung gefunden. Ich verwarf das Konstruktionsprinzip der Bogenbrücke und schlug das später realisierte Konzept vor, das nach Fertigstellung der Kalkulationen mit meinen Vorstellungen genau übereinstimmte.» Die ausserordentliche Feinheit, die das Bauwerk charakterisiert, wurde durch die Vorspannung des Fahrbahnträgers möglich. Die expressive Spreizung der Streben ist auch statisch relevant: Mit ihr wird eine gute Seiten- und Windstabilität erreicht.

Text Ludmila Seifert, Chur
Literatur Leza Dosch: Kunst und Landschaft in Graubünden. Bilder und Bauten seit 1780, Zürich 2001, S. 345; Schweizer Architekturführer 1920–1990, Bd. 1 (Nordost- und Zentralschweiz), Zürich 1992, S. 72/73; Max Bill: Bauen als Teil der gestalteten Umwelt, in: DU, 1976 (Heft 424), S. 65–69, hier S. 66–68.